Von Menschen und Hunden
Aufgrund aktueller Tendenzen in der Mantrailing-Szene, die auch an researchdogs nicht spurlos vorübergehen, möchten wir, Robert und Elisabeth, eindeutig Stellung beziehen. Wir erlauben uns, zu diesem Zwecke etwas weiter auszuholen.
Mit den Menschen und den Hunden ist das so eine seltsame Sache. Wieso legt man sich so einen, oder noch schlimmer, mehrere stimmgewaltige Begleiter, die im Laufe ihres Lebens Nerven und Geldbeutel gewaltig belasten, eigentlich zu, und warum folgt im Regelfall ein Hund auf den anderen? Woher kommt dieses dringende taktile Bedürfnis nach Fell, das zeitweise gar nicht einmal gut riecht? Warum leben heute mehr Hunde mit Menschen zusammen als jemals zuvor, Tendenz steigend? In einer Welt, die ihre Bewohner zunehmend in die soziale Deprivation schlittern lässt, scheint die Hundehaltung eines der letzten Schlupflöcher bereitzuhalten. Der Hund ist als Sozialpartner nicht nur heiß begehrt, sondern auch bestens geeignet. Er eignet sich wunderbar als Projektionsfläche für unsere Wünsche und Vorstellungen, er ist unglaublich anpassungsfähig und er erträgt meisterhaft, was man ihm alles so zumutet. Hundehaltung garantiert noch dazu einen Anflug von „back to the roots“. Dem Hund haftet Natur an, wo er geht und steht. Er benimmt sich ungeniert daneben. Zehn Minuten vor dem wichtigen Termin, zu dem man ihn netterweise mitnehmen darf, wälzt er sich hingebungsvoll in etwas, das schon länger tot ist, er markiert begeistert den edlen Rosenbusch im Vorgarten des Nachbarn, fängt eventuell auch schon einmal einen Hasen und ist, so er ein gesunder und glücklicher Hund ist, jederzeit zu einem lustigen Spielchen aufgelegt und für jegliche Aktivitäten, die wir ihm anbieten, zu haben, weil er eben ein Hund ist und kein Mensch. Vielleicht üben Hunde eine derartige Anziehungskraft auf uns aus, weil sie uns so ähnlich und zugleich so wunderbar „anders“ sind. Mit dem „Anderen“ hat man als Mensch jedoch traditionell Probleme. Laut gängiger Mythologie begann das schon damals, mit der Geschichte mit dem Apfel und dieser ungeheuer unfolgsamen Frau, die mit einem einzigen Abbeißen von einem Stück saisonalem Obst eine mittlere Katastrophe auslöste. So entspannt hätte alles sein können, die Schafe würden immer noch chillig neben den Wölfen grasen, wir hätten immer schönes Wetter und wir würden alle Grundversorgung von oben ohne Arbeit beziehen, wenn dieses Weibsstück sich nicht zugleich mit den Vitaminen auch den Erkenntnisdrang einverleibt und diesen dominant weitervererbt hätte. Mit dem Fluch belegt, sich die Welt erklären zu müssen, wurden die Frevlerin und ihr unschuldiger Mann, der sicherlich auch mit Beeren und Wurzeln zufrieden gewesen wäre, hochkant aus dem Paradies geworfen. Vorbei war’s mit dem Dr. Doolittle-Dasein. Die Wölfe gaben plötzlich nur mehr unverständliche Laute von sich und entdeckten den Geschmack von Fleisch. Um sich die „Anderen“ zu erklären, die – zugegeben – zum Teil wirklich furchterregend waren, mussten zunächst Wesen in möglichen Ausprägungen dafür herhalten, sich die Verantwortung für den Lauf der Dinge in die Schuhe schieben zu lassen. Mit der Zeit sollte sich herausstellen, dass am leichtesten mit einer einzigen Gottheit auszukommen war, die man sich brauchbarerweise als menschenähnlich vorstellte (vgl. Kotschral 2014). Wenig später zeigte sich, dass die Folgen der damaligen illegalen Obstverkostung auch gewisse Vorteile mit sich gebracht hatten: Das durch Neugierde und Forscherdrang erworbene Wissen bedeutete zugleich Macht und Kontrollgewinn über alles „Andere“, das nicht der Spezies Mensch zuordenbar war und bugsierte damit die gesamte Gattung in eine privilegierte Position, in der man sich bis heute pudelwohl fühlt und die als wertvolle Ressource gegen andere Intelligenzen vehement verteidigt wird. Und anstatt vor einem schakalköpfigen Anubis oder einem rauschebärtigen Zeus in Demut sein Haupt zu neigen, opfert man heutzutage abstrakten Begriffen wie „Leistung“, „Erfolg“ und „sozialer Status“ seine Lebenszeit. Demnach ist es wenig überraschend, dass auch unter den Hundehaltern fortgeschrittene Anthropozentriker anzutreffen sind, die ihre Ansprüche an sich selbst an ihre Hausgenossen übertragen und sie hochkonsequent „nach ihrem Bilde“ zu formen versuchen, was mit einem Hund gar nicht so schwierig ist, wenn man das Prinzip erst einmal verstanden hat. Der Hund, der nicht über Alternativen nachdenken kann und der von Natur aus enorm anpassungs- und aufnahmefähig ist, scheint vordergründig kein Problem damit zu haben, solange er nicht überfordert oder sonst wie gestresst ist. Trotzdem gibt es sie noch – oder wieder, die Unheilbaren, die nach Alternativen zu der ausschließlich vom Menschen hergestellten Realität suchen, um der „virtual reality“ unseres elaborierten Alltags und der wissenschaftlichen Labore Paroli bieten zu können. Ein großer Teil dieser hoffnungslosen Romantiker findet sich unter denjenigen, die mit Tieren leben – damit sind nun aber nicht die gemeint, die sich einen Alligator in die Badewanne setzen und „Born to be wild“ vor sich hinsummen, solange ihr exotischer Mitbewohner sie noch summen lässt. Man findet einerseits die naiven Vermenschlicher „der Anderen“, deren Susis und Strolchis jedes, aber wirkliches jedes Wort verstehen, und andererseits die seltsamen Spinner, die darauf fokussieren, dass diese „Anderen“ weder Menschen sind noch Apparate, die neuerlichem Erkenntnisgewinn dienen oder für sonstige Zwecke benutzt werden können. Für diesen Typus Tierhalter ist das, was mit ihm gemeinsam durchs Leben kreucht und fleucht, weder der Instrumentalisierung noch der Kosten-Nutzen-Analyse zugedacht. Er teilt seine Zeit einfach gern mit Lebewesen, die mit denselben Rechten wie unsereins diesen Planeten bewohnen – doch in einer anderen, ihnen jeweils eigenen Wirklichkeit. (Gegenüber der rein menschlichen Wirklichkeit hatten im Übrigen schon andere, unter anderem der Philosoph Paul Watzlawick, der die Wirklichkeit der Wirklichkeit bezweifelte, eine etwas ambivalente Haltung entwickelt.) Die Vertreter der Spinner-Kategorie fallen meist durch mangelnden Ernst und Ehrgeiz, durch einen gewissen Hang zur Chaotik und durch Verweigerung von messbaren Leistungen auf und finden sich besonders häufig unter Veganern, milde belächelten Tierschutztanten und -onkeln, unter den sogenannten „Wattebäuschen“ und speziell auch unter zeitgenössischen Anthropologen und anderen Denkern, die keine Angst davor haben, sich zu blamieren. Wir – hier ist die Rede von Robert und Elisabeth – haben damals das Trailen für uns entdeckt, weil die andere Wirklichkeit unserer Hunde eine anhaltende Faszination auf uns ausübt. Das hat schon was, so ein Hauch von „back to the roots“ bei minimiertem Risiko. Hund total, sozusagen. Die Geruchswahrnehmungen, mit denen Hunde leben, und das, was sie in ihnen bewirken, sind nach wie vor nicht nur uns ein Rätsel, sondern auch die Wissenschaft pflegt sich in einem scheuen Bogen drumherumzuschleichen. Wie sehr wir auch rationalisieren und intellektualisieren, die individuelle Welt des Riechens ist für unsere Vorstellung auch mit bestem Willen nicht greifbar. Denken wir nur an eigene Geruchserinnerungen, die manchmal irrwitzige, uns unerklärliche Blüten treiben und uns spontan überfallen. „Hier riecht’s wie in Omas Küche im Sommer“ – das betrifft unsere höchstpersönliche Wirklichkeit, zu der niemand anderer „wirklich“ Zugang haben kann. Wieso ein Hund Spaß daran finden kann, einer menschlichen Spur zu folgen, ist aus verhaltensbiologischer Sicht sicherlich mit einfühlsamem Training und Erfolgsorientiertheit des Hundes zu erklären (schließlich winkt am Ende die Belohnung). Was im Hund aber tatsächlich abläuft und was er dabei empfindet, davon haben wir keine Ahnung. Wir wissen nicht, was bei einem Hund die Entscheidung auslöst, wann genau eine Richtung am Trail auszuschließen ist, wir wissen nicht, warum der eine Hund an einer Kreuzung nach zwei Metern den berühmten U-Turn zeigt und der andere erst nach weiteren fünf Metern, um ein ganz einfaches Beispiel heranzuziehen. Wir wissen nicht einmal, ob ein Hund bereits beim "Anriechen" gegenüber dem ihm präsentierten Geruchsträger emotional reagiert und ob und wie diese Emotionen seine Motivation und möglicherweise auch sein Suchverhalten beeinflussen. Trailer sind bekanntlich Spezialisten dafür, sich Erklärungen aus den Fingern zu saugen. Der Ansatz unseres Vereins gründet schlicht darauf, dass Hunde Individuen sind und die Art und Weise, wie ein Hund sucht, beträchtlich von einem Muster X abweichen kann. Wir haben zu dieser seiner Wirklichkeit keinen Zutritt und geben uns daher mit dem Beobachterstandpunkt zufrieden. Wenn wir von den gängigen Methoden absehen, wissen wir nicht einmal, was ihn tatsächlich motiviert. Wenn wir nun wissen, dass wir nichts wissen, bedeutet das zugleich Verzicht auf Kontrolle über sein Suchverhalten und vor allem Verzicht auf Korrektur. Wir versuchen in unseren Seminaren, den Blick der Menschen für das individuelle (Such-)Verhalten und die emotionale Lage ihre Hunde zu schärfen, ihre Beobachtungsgabe, ihre Konzentration und Reaktionsfähigkeit zu schulen – und nicht zuletzt ihr „Gefühl“ bzw. ihr Einfühlungsvermögen für ihren Hund. Was wir vermitteln wollen, ist Respekt vor dem, was der Hund an Riechvermögen und Kooperationsbereitschaft mitbringt, bei gleichzeitigem Verstehen seiner Grenzen. Wir sehen Trailen nicht als Sport und schon gar nicht als bewertbare Leistung, sondern als Teamarbeit inter species, die zum gegenseitigen Verständnis beiträgt. So gesehen arbeiten wir mehr mit Menschen und weniger mit Hunden. Das mag für manche unbefriedigend sein. Damit können wir ganz gut leben. Wer Rezepte und Betriebsanleitungen sucht, ist woanders sicher besser aufgehoben. Wer meint, dass er seinen Hund nur gut genug trainieren muss, um ein großartiger Trailer werden, wer der Ansicht ist, erkannt zu haben, was „richtiges“ Verhalten des Hundes am Trail ist und dieses perfektionieren möchte, ebenfalls. Wer glaubt, seinen Hund glücklich machen zu können, indem er ein Verhalten des Hundes, dessen Hintergründe sich unserer Vorstellungskraft entziehen, formt, dem wünschen wir, dass sein Vorhaben gelingt. Hauptsache, der Hund erfährt weder Druck noch Stress noch Frustration und hat seinen Spaß dabei. Eine kleine Warnung am Rande: Dass standardisierte und überprüfbare Abläufe sofort den menschlichen Wettkampfehrgeiz auf den Plan rufen, ist ein alter Hut. Wir haben allerdings noch keinen Hund gesehen, der seinen Kollegen stolz seine Prüfungsurkunden präsentiert. Aus oben genannten Gründen lehnen wir den Einzug derartiger, "lerntheoretisch untermauerter" Ansätze auf unseren Seminaren ab, selbst wenn ausschließlich, wie man salopp so sagt, „positiv“ mit dem Hund gearbeitet wird. Wir möchten uns klar von Methoden distanzieren, die negieren, dass unsere Wirklichkeit nicht die einzige und einzig wahre ist, ebenso wie von Korrekturen des Hundes am Trail und anderen Hilfsmitteln, die von Menschen für Menschen unter dem Vorwand eingesetzt werden, dem Hund das Suchenlernen zu erleichtern und die im Endeffekt die Möglichkeit beinhalten, Hunde zu letztlich austauschbaren Suchmaschinen zu degradieren. ------- Insofern machen wir dem Namen unseres Vereins keine Ehre mehr. Ursprünglich sind wir ja angetreten, Licht ins Dunkel des mystischen Mantrailings zu bringen, im Vertrauen auf wissenschaftliche Methoden und auf empirische Nachweisbarkeit. Die vielen Hunde mit ihren ebenso vielen verschiedenen Persönlichkeiten, die wir in den letzten Jahren auf unseren Seminaren kennengelernt haben, trugen dazu bei, dass wir im grellen Licht der Empirie zu frösteln begannen. Uns ist die Lust daran verloren gegangen, die gymnastischen Verrenkungen von Wissenschaften mitzumachen, die mehr und mehr in Zugzwang geraten, ihr Tun rechtfertigen zu müssen. Wir werden in Zukunft das „re-“ von „researchdogs“ wohl kleiner schreiben, das „-search-“ wird bleiben, wie es ist, und „-dogs“ –, der Teil des Wortes, der bezeichnet, worum es geht – wird noch mehr an Wichtigkeit gewinnen.
Elisabeth Schicketanz & Robert Boulanger im Oktober 2015