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Maiandacht

 

Maiandacht ist ein religiöses Zeremoniell, das in der öffentlichen Lesart gerade noch als Volksbrauch oder Meditationsübung durchgeht, in entlegenen Landesteilen aber vollends ins Archaisch-Mythische hineingreift. So ist der echte Maiandachtskult für den Tourismus noch immer tabu, wer ihn erkunden will, muss entweder Betroffener oder Forensiker sein.

Elisabeth Lexer und Robert Boulanger haben die Form des Kriminalromans gewählt, weil man sich dadurch landläufig etwas vorstellen kann und weil erzähltechnisch gesehen so die diversen Geheimnisse geknackt werden können, indem einfach ein Chefinspektor über die Sache drüberscannt. In der Tiefenstruktur ist der Roman durchaus ein Stück Ethnographie, Psychologie und Dialektologie. In einem Glossar werden nämliche die einzelnen Fügungen nicht nur in eine Allgemeinsprache transferiert, ihre Auswahl und ihr semantisches Selbstbewusstsein deuten darauf hin, dass diese Begriffe auch den Sinn des Lebens in einem gewissen Landstrich ausmachen. Diese regionale Feldforschung ist gewissermaßen die Antwort auf die Globalisierung, der Kosmos ist nämlich ein Wallfahrtsort mit aufgesetztem Wellnessbereich.

Romane werden nach allem möglichen beurteilt aber selten nach dem Aufspür-Genuss für den Leser. Das Lesen kann nämlich per se zu einem Genuss werden, wenn sich die Autoren etwas kunstvoll ausgedacht haben, was der Rezipient nur in mehrfachen Leseschüben aus dem Text hervorholen und für seine Welt deuten kann.

Vom Lesevorgang her gesehen erinnert Maiandacht vielleicht an das gigantische House of Leaves von Mark Z. Danielewsky, nur dass hier nicht ein Haus verrückt spielt, sondern ein kleiner Ort gruselig metaphysisch wird. So gibt es in der Maiandacht eine Rahmenhandlung, die der bewährte Chefinspektor Kovacs tapfer absolviert, die Handlung ist auf vier Tage aufgeteilt und die wunderlichen Frauenfiguren kriegen eine eigene Schrifttype, um ihre Gendankenwelt rein graphisch von den allgemein gedeuteten Vorgängen herauszuheben.

Inspektor Kovacs, seine Begleiterin und der Hund Puppi kriegen einen Wellness-Gutschein, entscheiden sich aber im Angesicht des Dorfes Maria Schmerz zu einem klassischen Wanderurlaub mit volkstümlicher Einlage. Die ganze Gegend ist Walpurgis-gemäß erigiert, überall spielen sich Tänze, Rituale und Bräuche ab, und als man munkelt, dass ein Kind verschollen ist, kann niemand den Wahrheitsgehalt dieses Gerüchtes feststellen.

Kovacs bringt sich ins Spiel und benimmt sich gleich einmal tolpatschig, indem er gegen seine vergessene Windjacke ermittelt. Ständig geht ihm die Luft aus, wenn er eine Spur aufnimmt, und der Hund ist urbane Dekoration, die in der Gegend nichts verloren hat.

In ihren Geheimwelten tauchen dann ein paar starke Frauen auf, vor allem Cilli hält die Fäden zusammen, indem sie die wichtigen Entscheidungen mit alten Ritualen unterlegt. In dieser archaischen Struktur werden geistige Handicaps durchaus in Stärke umgewandelt, die Gesetze des Hexenwesens übertünchen übliche soziale Gefüge. Die moderne aufgeklärte Welt wird draussengehalten, weshalb auch die Touristen nichts vom psychologischen Myzel des Dorfes mitkriegen.

Der Fall um das verschwundene Kind wird natürlich aufgeklärt, aus forensischen Gründen darf die Lösung hier freilich nicht verraten werden.

In der Gegenwartsliteratur müssen Romane oft herhalten, um eine Gegend zu puschen und touristisch auf Vordermann zu bringen, in der Maiandacht geht es darum, den Spuren einer magischen Welt nachzugehen, die den Tourismus glatt unterwandert. Dieser Roman erweckt Gelüste, vor der eigenen Haustüre unter dem Zirkuszelt des Tourismus nach irrealen, bigotten und unlogischen Verknüpfungen unserer Gesellschaft zu graben.

Helmut Schönauer 24/09/18