Maiandacht
Wellness-Urlaub trifft auf Chefinspektor Kovac. Ein gut gemeintes Geschenk seiner Kollegen löst bei dem eigenwilligen Ermittler gemischte Gefühle aus, zumal der Gutschein für zwei Personen gilt und als Begleitung nur seine von ihm stets auf eine gewisse Distanz gehaltene Freundin infrage kommt, die jedoch, Kovac hat es geahnt, für die gemeinsame Woche andere, sportlichere Pläne hat als ihr Begleiter, dem bereits die Menüzusammenstellung in der Wellness-Oase Kopfschmerzen bereitet, ist er doch der bürgerlichen, also deftigen Küche zugeneigt. Im bergischen Wallfahrtsort Maria Schmerz angekommen, entwickelt sich der Urlaub in die von Kovac befürchtete Richtung und er muss alle seine kreativen Fähigkeiten ausschöpfen, um sich vor dem Fitness- und Ernährungswahn seiner Begleiterin in Sicherheit zu bringen. Da kommt ihm eine vertuschte Kindesentführung gerade recht, die ihn mitten hineinführt in ein fatales Gemisch aus Kommerz, religiöser Verblendung und Intoleranz. Wirtschaftliche Interessen und Religion sind, das bemerkt Kovac schnell, unter der auf den ersten Blick idyllisch wirkenden Kulisse des Ortes eine gefährliche Koalition eingegangen, die alles zu unternehmen bereit ist, um den stetigen Geldfluss durch die wallfahrenden Touristen nicht abbrechen zu lassen. Hinter dem oberflächlichen Klischee der ländlich heilen Welt, brodelt es gewaltig. Habgier, persönliche Ressentiments und finanzielle Abhängigkeiten machen das Leben der Dorfbewohner zur Hölle auf Erden, von denen einige ihre angestaute Frustration, angefeuert durch Alkohol, an einer noch nicht so lange in der Nähe des Ortes lebenden Frau, die in den Augen einer religiösen Fanatikerin eine Hexe personifiziert, auslassen. Was für Kovac zuerst eine willkommene Gelegenheit ist, dem Wellness-Wahn seiner Begleiterin zu entkommen, entwickelt sich schnell zu einem veritablen Horror menschlicher Abgründe. In dem nach außen abgeschotteten Kosmos von Maria Schmerz leben die Einwohner wie aus der Zeit gefallene Figuren, die, das Autorenduo Elisabeth Lexer und Robert Boulanger beschreibt das einmal mehr mit ausgefeilter Diktion, noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen zu sein scheinen. „Maiandacht“ ist ein Kriminalroman, der wieder einmal von seinem sympathisch grantigen Ermittler und dessen ebenfalls äußerst eigenwilliger Hundedame lebt, vielmehr jedoch von seinen tief in die deformierte Psyche eintauchenden Darstellungen der agierenden Personen.
InKultura 10/2018 (http://www.inkultura-online.de/maiandacht.html)